18. November 2022

Muffelige Doktoren und Lost Places

Heute ist in Tschechen ein Feiertag, der „Struggle for Freedom and Democracy Day“. Was der Turnierveranstalter für eine Doppelrunde nutzt. Also heisst es früh aufstehen. Beim Frühstück ist es laut und voll. Der Doktor ist ganz muffelig. Vor seinen Fenster hat offenbar die halbe Nacht eine Party mit brüllenden Tschechen oder Engländern statt gefunden, so genau weiß man es nicht. Und das arme Doktorchen konnte nicht schlafen, und dass ausgerechnet vor dem Tag mit der Doppelrunde.

Das Schachkid hat nun den zweiten Ösi – 84 Jahre alt, viel Lebenserfahrung aber null Manieren. Der Senor kommt 25 Minuten zu spät – alle anderen Bretter spielen schon, niemand muss warten. Seine Ausrede – das Frühstück habe bei ihm länger gedauert. Das Argument, dass 79 andere Schachspieler ein pünktliches Frühstück geschafft haben, verkneift sich das Schachkid ausnahmsweise. Alle zwei Minuten hustet sich der Senor die Seele aus dem Leib und scheint jeden Moment vom Stuhl zu fallen. Er atmet hörbar schwer. Das Schachkid zitiert den Senor vor die Tür und fragt, ob es ihm gut geht. Das Schachkid hat weniger das Wohl des Senor im Blick als die Angst, sich vom Senor irgendwas einzufangen. Es sei nichts, er habe sich nur verkühlt und geht auf die Toilette, wo er offenbar laut hustend tausend Tode stirbt.

Da fällt dem Schachkid echt nichts mehr ein, wie man sich in Zeiten von Corona hustend und schniefend ans Brett setzen kann. Der Senior mag ja der Auffassung sein, mit 84 Jahren sein Leben gelebt zu haben. Aber das Schachkid hat auch keine Lust, sich eine Erkältung einzufangen. Also wird in der Partie schnell geblitzt, weil das Schachkid nur von diesem Menschen weg will. Das geht natürlich schief, die Dame ist nach wenigen Zügen weg.

Kaum besser geht es dem müden Doktor. Im Gegensatz zum Schachkid dauert bei ihm aber immer alles länger. So meldet er pünktlich zum Mittag den Partieverlust und geht schlafen. Nicht ohne zuvor im Hotelzimmer kurz wütend Sachen durch die Gegend zu werfen. So kennt das Schachkid sein sonst so  ausgeglichenes Doktorchen gar nicht. Im Herzen ist er eben doch ab und an eine kleine Wildsau.

Das Schachkid hat auch keine Lust, groß weg zu gehen und erkundet das verlassene Stadion hinter dem Hotel. Eigentlich ist es abgesperrt und ist sozusagen ein Lost Place, man kommt aber trotzdem rein, wenn man über diverse Zäune steigt. Das Stadion hat sogar seinen eigenen Eintrag bei Wikipedia. Offenbar hatte hier der hiesige Spitzenverein seinen Stammsitz, baute sich aber im Jahr 2001 ein neues Stadion. Das Alte verfällt seitdem und die Umgebung gleich mit. Dieser Lost Place ist interessant und auch ein bisschen gruselig. Das finden wohl auch andere Leute. Obwohl das Stadion gesperrt ist, trifft das Schachkid eine Menge Leute, die staunend über den Rasen gehen und jede Menge Fotos machen.

Das Schachkid ist pünktlich am Brett und fragt sich, wo der Doktor bleibt. Das Schachkid sieht ihn schon schlafend im Hotelzimmer und überlegt, zu diesem zu eilen, um gegen die Tür zu hauen. Wie das Schachkid aber feststellt, sitzt es Rücken an Rücken mit dem Doktor, der nun einen jungen motivierten Letten vor der Brust hat, der schon einiges weggehauen hat.

Schon wieder ein Ösi. Etwas jünger, aber auch mit teils fehlenden Manieren. Jedenfalls isst er lautstark einen Apfel und beliebt dann den langsam braun werden Apfelgrips neben den Brett abzulegen, von wo sich süßlicher Apfelduft ausbreitet. Da fehlen dem Schachkid die Worte. Die Partie endet Remis, auch wenn der Ösi deutlich stärker und das Schachkid die Eröffnung sehr schlecht gespielt hat. Aber offenbar hat der Ösi nicht energisch genug nachgesetzt, wie die Varianten zeigen. So bleibt es denn bei der Punkteteilung.

Der Doktor wird dem Pianospieler lauschend in der Bar angetroffen und hat sich heimlich Bier und Kuchen gegönnt. Er hat auf Zeit gewonnen, weiß er zu berichten. Allerdings musste erst der Schiri geholt werden, da der Lette den Zeitmodus offenbar nicht ganz verinnerlicht hatte. Komisch, das Schachkid hat noch nie auf Zeit gewonnen.

Abends um 21.30 Uhr läuft inmer noch ein Spiel. Eine der Peglau-Schwestern blitzt gegen eine Chinesin, die den Titel MAK trägt. Das Schachkid weiß nicht, was das bedeutet, sieht aber die Stellung als Remis an. Der Doktor siehts genauso. Trotzdem blitzen die Damen weiter und halten den dicken Schiri vom Bier ab. Später im Bett sieht das Schachkid dann natürlich, es ist Remis. Das Leben kann eben so einfach sein.

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