Was bedeutet eigentlich körpernah? Das erforscht heute mal das Schachkid. Heute wird am Brett 60 gegen einen rothaarigen netten Parzifal gespielt. Am Nebenbrett 59 dem Schachkid gegenüber nimmt Lazlo Platz, ein Senior um die 70 aus Ungarn, der aber schon länger in Österreich lebt, wie sein perfekter österreichicher Dialekt verrät.
Lazlo kommt und nimmt Platz und legt sein Smartphone neben das Brett, sozusagen an die Grenze zwischen Brett 59 und 58. Sein Brettnachbar an Brett 58 beäugt das Gerät mißtrauisch und weist darauf hin, dass Handys im Spielsaal verboten seien. Lazlo wird leicht ungehalten und erklärt, er trage das Handy nicht am Mann und auch sei es ausgeschaltet. Nun wird Brett 58 seinerseits im Ton ein wenig schärfer und erklärt, man müsse wie der Rest des Turniers auch sein Handy beim Schiri abgeben. Lazlo wird nun vollends laut und brüllt, er kläre das nur mit dem Schiri und deponiert das Handy nun auf der anderen Seite am Brett 60 beim Schachkid. Der Schiri kommt ob des Tumults herbei geeilt und guckt, erst zu Lazlo, dann zum Nebenbrett, dann aufs Handy und macht – genau nichts.
Lazlos Gegner kommt etwas später, der sagt nix. Das Schachkid stört das Handy auch nicht, es hat keinen Einfluss auf seine Partie. Dummerweise hat das Schachkid nun Zeit und ist übel gelaunt. Zum einen spielt Parzifal nicht schlecht und degradiert mit 16. Lf4 die schwarze Dame zum großen Bauern. Zum anderen hat das Schachkid eine lange Hose an, die ein Fehlkauf war, und schwitz in dieser Hose und überhitzt gerade etwas. Lazlo steht auf Gewinn, beim Schachkid bauen sich so Gedanken und eine gewisse Übellaunigkeit auf. Warum darf der eigentlich sein Handy liegen lassen?
Das Schachkid meint, mal an die frische Luft und auf Toilette zu müssen. Es schein ein wirklich merkwürdiger Zufall zu sein, dass das Schachkid den Hauptschiri erblickt und nun zufölligerweise eine kleine Schleife dreht, um beim Schiri angekommen. Dort angekommen fragt das Schachkid interessiert nach, ob ein Handy neben dem Brett eigentlich als körpernah oder körperfern zu werten sei. Der Schiri meint, das sei ganz klar körpernah und überhaupt, dafür gebe es eine Handybox. Er wolle sich sogleich kümmern.
Das Schachkid geht mit besser Laune zur Toilette und findet nach der Rückkehr Lazlo an der Handybox am Schiritisch vor. Parzifal hält weiter gegen. Der lästige Läufer auf f4 kann immerhin abgetauscht werden. Lazlo am Nebenbrett spielt noch 10 Minuten und setzt den Gegner matt. Nachdem er 10 Minuten ohne Handy überstanden hat, muss er schon wieder zur Handybox.
Parzifal denkt lange nach und das Schachkid guckt so rum und kommt schon wieder auf Ideen. Ein spontanes Frischluftbedürfnis. Man könnte ja mal gucken, ob Lazlo noch da ist. Ist er, an der Theke mit einem Bier. Das Schachkid kommt gemütlich angeschlendert und gratuliert Lazlo freundlich zum Sieg, was Lazlo sichtbar freut. Das Schachkid ist nun im Schwunng und setzt seine Rede fort und erwähnt, dass es doch sehr arrogant sei, sein Handy so auf dem Tisch zu legen und sicht nicht an die Regeln zu halten. Des Schachkids Laune hebt sich umgekehrt prooportional in dem Maße, wie die Gesichtszüge von Lazlo entgleisen. Der schwenkt nun wütend sein Bier und empfiehlt dem Schachkid mit ausgestreckten Zeigefinger, sich zu entfernen. Das geht leider nicht, in die angezeigte Richtung liegt ein Fenster. Das gibt das Schachkid nun auch zu bedenken. Lazlo wird nun vollends laut und meinte, sowas würde man in Deutschland Arschloch nennen. Das Schachkid ist nun vollends gut gelaunt und weiß nun nicht, ob Lazlo sich nun selber meint.
Nun ja, am Schachbrett tun sich psychologische Abgründe bei allen Beteiligten auf. Außer bei Parzifal. Der nimmt freundlich das Remisangebot des Schachkids an.
Der dicke Doktor knetet derweil sein Endspiel und freut sich völlig zu recht, dass er noch gewinne kann. Der Schachwizard, der nur langsam aber hoffentlich stetig wieder gesundet, und hoffentlich ohne Folgeerscheinungen, guckt gespannt Damenfussball. Heute spielen die österreichischen Damen. Das Schachkid ist nicht ganz auf dem Laufenden und weiß auch nicht, was für ein Turnier da eigentlich läuft.
Tagsüber hat man den Pyramidenkogel bestiegen, also befahren. Drauf steht ein Aussichtsturm mit einer extravaganten Architektur. Es gilt das Prinzip Marktwirtschaft. Der Aufstieg kostet, der Fahrstuhl kostet extra, die Rutsche auf dem Rückweg auch. Oben kann man ein Foto machen, kostet extra. Das Schachkid ist lieber unten geblieben und gönnt sich ein Radler für 5,20 €. Der Genusswirt ist eine Touristenfalle. Die ungelernte Aushilfskraft kommt fünf mal am Tisch des Schachkids mit leeren Händen vorbei und weigert sich konseqquent, eine Bestellung aufzunehmen. Auf der Speisekarte gibt es völlig überteuertes Billigessen. Das Schachkid schwitzt in der langen Hose zu Tode, das Lokal hat ein Wespenproblem. Der vom Turm hinab gestiegene Doktor erkennt das Malheur auf einem Blick und weiß, hier wird man nicht bleiben.
Gott sei Dank hat das Schachkid eine kurze Hose mitgenommen und zieht sich auf dem Parkplatz aus und dann um. Zwei kleine Mädchen schauen reichlich irritiert, als das Schachkid in rot karierter Boxershorts verhüllt im Kofferraum herumkramt. Man fährt ein Dorf weiter zum Höhenwirt, der lokal produziert und auf Fachkräfte setzt. 12 besetzte Tische und vier Kellner sind zu sehen. Während des Essens kommen drei verschiedene Kellner und erkundigen sich, ob es schmecke. Soweit das Schachkid erkennen kann, wird vorschriftsmäßig ausgehoben. Die Kellnerin verkauft dem Schachkid noch einen Espresso zum Dessert. Der Schachwizard hätte seine helle Freude.
Morgen nun letzter Tag – die Gegner werden nicht leichter.
Als waere man selbst dabei gewesen … ;-), VG, René L.