Eine Nacht geschlafen und schon ist der Kreislauf wieder in Schwung. Nachteilig ist der weite Weg zur Halle. Die Stadt ist leer bis auf die Kirche, da drängeln sich um halb zehn morgends schon die Menschenmassen. Offenbar ist es eine religiöse Gegend. Das Schachkid läuft betont langsam los, Ressourcen schonen ist angesagt. Der dicke Doktor startet 10 Minuten später, ausgestattet mit neuen Schuhen und neuer Sommerhose, holt das Schachkid ein. Das Schachkid kommt nicht umhin, die dicken Waden des Doktors zu bewundern und verbringt die nächsten Minuten damit, sich den Doktor in bayerischer Ledertracht vorzustellen. Ergebnis des Morgens – könnte er tragen.
Der Doktor hat heute einen Gegner, Typ Lieblingsgegner. Ein Gegner mit 1800 Elo, etwas älter, nicht zu jung, um zu aggressiv zu spielen. Schon nahe dran am Seniorenstatus, wo die Zahl noch hoch, aber die Kräfte gering sind. Das gefällt dem Doktor. Und so gewinnt er auch. Zu Beginn betreibt der Gegner Namensforschung und hat gleich erkannt, das der Doktor kein Preuße, sondern ein Sorbe ist. Diese Minderheit ist dem Gegner nicht bekannt. Und so bleibt dem Gegner der Doktor als schachspielender Serbe in Erinnerung, der immerhin gut deutsch reden kann.
Was man von den Kärtnern nicht behaupten kann. Immer wenn der Schiri die Runde eröffnet, versteht das Schachkid genau nichts. Was nur teilweise an der miesen Soundanlage in der Veranstaltungshalle liegt.
Das Schachkid hat auch eine Seniorin, ausgesprochen gut aussehend, das Seniorinnen sein sieht man ihr nicht an. Nur Spielen kann sie nicht so gut.
Der Doktor schaut nach 30 Minuten vorbei, da steht die Gegnerin schon auf Abriss. Viermal mit dem Springer in der Eröffnunng ziehen, kann nicht gut sein. Da ist klar, dass das Schachkid aktiver steht. Leider gibt die Gegnerin trotz Minusturm nicht auf, sodass das Schachkid, dass sich gerne ins Cafe setzen möchte, noch etwas ackern muss.
Nun kann sich auch mehrere Stunden im Cafe aufgehalten werden, denn die dritte Runde startet erst um 18.00 Uhr. Heute gab es wieder Grillgut, was das Schachkid in schlechter Erinnerung hat und sich lieber, passend zur Jahreszeit, einer warmen Mehlspeise widmet. Der Doktor wittert seine Chance und fordert die Herausgabe des Bratwurstgutscheins, den jeder Spieler erhalten hat. Am Spielort angekommen kann der Doktor mangels vorhandener Würste nur noch seinen Gutschein einlösen und ergattert die letzte Wurst. Was dem Bauchumfang sicher zuträglich ist…
Vor der dritten Runde ist die Verlosung von Gutscheinen diverser Restaurants und der hiesigen Uhrenfabrik, die allesamt das schöne Turnier sponsern. Der FM gewann seinerzeit gleich einen Gutschein. Das Schachkid wartet seit Jahren, und auch nun vergeblich. Wieder nix gewonnen. Da muss nun der Gegner herhalten, immerhin ein ACM, sozusagen ein Titelträger. Jeder zweite Spieler beim Turnier ist ein ACM oder NM oder MK oder Magister oder Doktor oder sonstwas. Da muss man das Doktorchen in seiner Bescheidenheit Tribut zollen, der nicht wie die Ösis bei jeder passenden Gelegenheit seinen Doktor präsentiert.
Der ACM ist auf jeden Fall ein Jugendlicher, den die englische Eröffnung sichtlich irritiert. Nach 1.c4 benötigt er erstmal 5 Minuten, um sich uu sammeln. Das nun folgende Endspiel ist komplex. Jede Seite hat einen Freibauern. Und weiß ihn auszuspielen. Das Schachkid bietet Remis an. Der Doktor ist irritiert und sieht den Gewinnweg mit a3, der Gegner auch. Remis – da fehlt es dem Schachkid wohl an der Endspieltechnik.
Der Doktor hat hingegen das Talent, gegen die Gegner aus den Vorjahren zu spielen. Heute ist der Pferdeschwanz dran. Der Mann ist etwas kleiner geraten, trägt aber einen hübchen Pferdeschwanz. Leser dieses Blogs werden sich an die Beiträge aus 2022 erinnern, der Mann sieht aus wie der Moderator in dem Film “Hunger Games”. Das Schachkid schaut ab und an vorbei und befürchtet Schlimmes, der Doktor hat zwei Bauern weniger. Das Schachkid widmet sich gerade einem Brot mit Schweinsbraten, als der dcke Doktor kommt. Befragt, was er gemacht hat, meint der Doktor, er habe den Pferdeschwanz abgeschnitten. Eine gute Aktion als Reaktion auf die verlorene Partie findet das Schachkid. Das war ein Irrtum. Denn im Laufe des Abends stellt sich heraus, das man wohl ein kleines Kommunikationsproblem hat. Tatsächlich hat der dicke Doktor einen National Master mit einer beeindruckenden 2223 Elo umgelegt. Nach diesem Erfolg wird des Schachdoktors Trainer, der bekannte und viel gerühmte FM, wohl die Preise erhöhen. Selbst der Vereinschef in der Ferne ist beeindruckt.
Angekommen im Hotel muss gelüftet werden. Der Zwischenstopp im Bierparadies entfällt, das hat schon wieder zu. Es ist so warm in Kärnten, wie es eigentlich nicht möglich ist. Immerhin ist man in Österreich in den Bergen oder sieht zumindest Berge. Die blöde Wettervorhersage prognostiziert stündlich Regenfälle und liegt damit grundsätzlich daneben. Das Schachkid hat extra alles verdunkelt, und trotzdem passiert ein unbekanntes Vieh heftig brummend das Fenster. Das Schachkid, in derartigen Fällen leicht panisch werdend, telefoniert eilig den Doktor aus dem Nebenzimmer herbei. Entweder entfernt der Doktor das Vieh, oder das Schachkid schläft beim Doktor. Vor diese Wahl gestellt beschließt der Doktor, der sich eilig was leichtes übergeworfen hatte, für erste Alternative. Das Vieh hockt an der drei Meter hohen Decke.Der Doktor sucht einen langen Gegenstand und schaut das Schachkid fragend an. Das hat den Besen ausnahmsweise mal zu Hause gelassen. Der Doktor demontiert die Stehlampe und schwenkt diese wie eine Lanze umher und beauftragt das Schachkid, die Flugbahn des Insekts zu tracken. Das Schachkid denkt nicht daran, sondern flüchtet und verbarrikadiert sich im Bad. Während der tapfere Doktor auf einen Stuhl steigt und das Vieh mit einer Kinozeitung erlegt.
Nachdem dieser Unruheherd nun beseitigt ist, möchte der Doktor nicht bleiben und zieht seine Unterkunft unverständlicherweise vor. Glücklicherweise muss das Schachkid nicht erneut anrufen. Wenigstens ist man schachlich zufrieden mit der Punkteausbeute und freut sich auf weitere Gegner.